Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
In letzter Zeit erreichen uns im Münchner Büro der Deutschen Friedensgesellschaft immer häufiger Mails wie die folgende eines Reservisten der Bundeswehr. Er schreibt: „Mich treibt die Sorge um, was passiert, wenn es in Deutschland zu einem Spannungsfall oder Verteidigungsfall kommen sollte. Ich wäre, aufgrund meines abgeleisteten Wehrdienstes umgehend wieder wehrpflichtig – kriegspflichtig.“ Der Reservist möchte jetzt den Kriegsdienst verweigern. Und dann gibt es Eltern, die Sorge wegen ihrer Kinder haben. Ein Vater fragt an: „Macht es Sinn für meine beiden Söhne, die noch nicht gemustert sind, vorsorglich den Kriegsdienst zu verweigern?“
Die Beispiele zeigen: Viele Menschen sind verunsichert, machen sich Sorgen, haben Angst, dass in naher Zukunft ein Krieg droht. Und das ist kein Wunder. Denn seit Monaten tönt uns die Parole entgegen: Wir müssen kriegstüchtig werden.
Aber das ist nicht unsere Parole! Im Gegenteil: Wir sagen: Wir müssen nicht kriegstüchtig werden, sondern wir müssen friedensfähig werden! Krieg ist keine Option, er darf keine Option sein, wenn wir verhindern wollen, dass aus unserem Land eine Trümmerwüste mit Millionen Gräbern wird. Was Krieg an Leid und Zerstörung bedeutet, erleben die Menschen in der Ukraine jeden Tag. Sollte Mitteleuropa zu einem Schlachtfeld werden, wäre alles noch viel, viel schlimmer!
Nur: friedensfähig werden, Kriege verhindern, wie geht das? Dazu soll ich heute sprechen. Das ist eigentlich eine Fragestellung, zu der man an der Uni ein Seminar in Politikwissenschaft abhalten könnte, mindestens ein Semester lang. Aber ich will's versuchen und ein paar Punkte benennen. Da wäre zunächst der Punkt
Was die rhetorische Abrüstung betrifft, erleben wir im Moment ja leider das Gegenteil, wie die Forderung nach Kriegstüchtigkeit beweist.
Manche beleben jetzt das alte Feindbild aus dem kalten Krieg wieder, das Feindbild vom grundsätzlich bösen Russen, dem man nie vertrauen kann. Feindbilder sind eine Voraussetzung dafür, dass Kriege überhaupt geführt werden können. Wenn Soldaten in denen, die Ihnen an der Front gegenüberstehen, nicht mehr die Menschen sehen, sondern nur noch die „Feinde“, dann ist es leichter, auf sie zu schießen. Feindbilder sind ein Riesenproblem, wir müssen sie überwinden!
Worauf es ankäme, wäre, dass sich der öffentliche Diskurs verändert, von der Eskalation hin zur nüchternen Analyse. Ist Russland wirklich so gefährlich, wie es dargestellt wird? Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, meint: ja. Er sieht eine „reale Bedrohung“ und behauptet, in vier Jahren wären die Russen zu einem Angriff auf Nato-Gebiet fähig.
Aber:
Militärische Stärke allein ist noch kein Beleg dafür, dass es auch die Absicht gibt zu einem Angriff.
Und mit Blick auf Russland muss man vor allem fragen: Welches Interesse genau sollten Putin und Co daran haben, uns zu überfallen? Ist es realistisch, dass ein Staat wie Russland in der Lage sein soll, ein Europa zu besetzen und zu kontrollieren, das 500 Millionen Einwohner hat und jetzt schon über eine Reihe von hochgerüsteten Armeen verfügt? Man muss da sehr, sehr große Zweifel haben.
Eine Gruppe von 15 Sicherheitsexperten hat jedenfalls vor Panikstimmung und Alarmismus im Umgang mit Russland gewarnt. Zu der Gruppe gehören Friedensforscher, Politikwissenschaftler und auch ein Ex-General. In einem gemeinsamen Appell wenden sich die Experten gegen die Spekulationen über einen möglichen russischen Angriff auf Nato-Gebiet. Ein solcher Angriff, sagen sie, ist „nicht plausibel“. Und weiter: die entsprechenden Vermutungen darüber basieren auch nicht auf einer seriösen Bedrohungsanalyse.
Deshalb sage ich: Extreme Vorsicht vor den Bedrohungs-Szenarien, die uns da präsentiert werden, sie sind auf jeden Fall in Frage zu stellen!
Der Begriff klingt etwas sperrig. Aber es geht ganz einfach um folgendes: Kriege fallen ja nicht vom Himmel, sie haben immer eine Vorgeschichte, da gibt es Konflikte, die unbearbeitet geblieben sind. Hier kann man ansetzen, wenn man vorbeugen, wenn man den Ausbruch von Gewalt verhindern will. Durch Mediation, durch geduldiges Verhandeln mit den Konfliktparteien. Dabei sind zunächst mal Diplomaten gefragt: und zwar vor allem die von Staaten, die nicht an einem Konflikt beteiligt sind. Aber auch Nichtregierungs-Organisationen können hier wertvolle Hilfe leisten. Da gibt es beispielsweise den Zivilen Friedensdienst ZFD, ein Programm für Gewaltprävention, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung. Für dieses Programm arbeiten so genannte Friedens-Fachkräfte zur Zeit in rund 45 Ländern der Welt. Das Wort „Friedensfachkraft“ hört sich ein wenig bürokratisch an – was diese Menschen tun ist alles andere als bürokratisch: Sie helfen dabei mit, dass Konflikte nicht in Gewalt umschlagen.
Zum Beispiel in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien, in denen die jüngste kriegerische Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden ist. Da geht es darum, durch Bildungsarbeit die alten, immer noch wirksamen Feindbilder zu überwinden. Wie z.B. in Bosnien-Herzegowina, wo drei verschiedene Volksgruppen leben und wo es immer wieder Spannungen zwischen diesen Gruppen gibt.
Der zivile Friedensdienst bekommt Mittel aus dem Haushalt des Entwicklungsministeriums. Im Haushaltsplan waren für das jetzt laufende Jahr gut 23 Millionen Euro für den ZFD vorgesehen. Wirkt erstmal gar nicht so wenig. Ist aber geradezu lächerlich im Vergleich zu den Milliardenbeträgen, die für Rüstung und Militär ausgegeben werden. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland, in die zivile Konfliktbearbeitung müsste viel mehr Geld gesteckt werden!
Sie haben im letzten Jahr einen neuen Rekordwert erreicht. 2024 sind Kriegswaffen und militärische Ausrüstung für rund 13 Milliarden Euro ins Ausland gegangen - so viel wie nie zuvor in einem Jahr. Für weit mehr als die Hälfte dieser 13 Milliarden sind Waffen und Ausrüstung an die Ukraine geliefert worden, nämlich für rund 8 Milliarden Euro. Gerechtfertigt wird das vor allem mit einem Argument: dass man die Ukrainer in die Lage versetzen will, der russischen Aggression standzuhalten. Nur hat das eine Folge, und über die muss sich jeder klar sein, der die Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet: Diese Lieferungen schützen kein Leben, wie manche in der Politik gern behaupten. Sie töten, der Krieg wird verlängert, das tausendfache Sterben geht weiter!
Und jetzt denkt der Kanzler in spe Friedrich Merz wieder einmal ganz laut über Marschflugkörper vom Typ „Taurus“ nach. Er will sie u.U. an die Ukraine liefern. Mit dem „Taurus“ könnten die Ukrainer zum Beispiel die Brücke zur Halbinsel Krim zerstören, die für den Nachschub der Russen enorm wichtig ist – so hat Merz letzten Sonntag im Fernsehen argumentiert.
Der noch amtierende Kanzler Olaf Scholz dagegen hat die Lieferung des „Taurus“ an die Ukraine strikt abgelehnt. Zu Recht und aus gutem Grund: Der „Taurus“ hat eine Reichweite von 500 Kilometern, damit könnten die Ukrainer Ziele ganz weit im russischen Hinterland angreifen. Dass die Russen das so einfach hinnehmen würden, ist kaum vorstellbar. Eine Vertreterin der russischen Regierung hat gestern auch schon gedroht: Das würde Konsequenzen haben. Eine weitere Eskalation des Krieges wäre damit programmiert. Und Deutschland würde vollends zur Kriegspartei werden. Deshalb: Friedrich Merz muss aufhören, mit dem Feuer zu spielen, der „Taurus“ darf nicht geliefert werden!
Für den „Taurus“ gilt dasselbe wie für alle Waffenexporte – egal wohin sie gehen: Sie machen Kriege erst möglich, ohne Waffen kann man bekanntlich keinen Krieg führen.
Ich wäre eigentlich dafür, dass bei uns überhaupt keine Rüstungs-Produktion mehr stattfindet. Aber man könnte ja einen ersten Schritt tun und zumindest die Rüstungsexporte drastisch beschränken! Die Kampagne „Aktion Aufschrei – stoppt den Waffenhandel“ plädiert genau dafür und hat den Vorschlag für ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Da steht drin, dass Rüstungsexporte grundsätzlich verboten sein sollen. Ausnahmen soll es geben können, aber dann nur unter strengen Kriterien. Und wenn eine Exportgenehmigung erteilt wird, dann muss das nachvollziehbar begründet werden. Wie gesagt, das wäre nur ein erster Schritt, aber ein sehr notwendiger!
In der Vergangenheit war es manchmal so, dass ein Krieg mit der bedingungslosen Kapitulation einer Partei ein Ende gegangen ist, wie z.B. der Zweite Weltkrieg. Aber dieser Fall ist eher eine Ausnahme, die meisten Kriege werden durch Verhandlungen beendet. Deswegen ist es so wichtig, auf Verhandlungen zu dringen, wenn ein Krieg im Gang ist!
Die Friedensbewegung hat das im Fall der Ukraine von Anfang an getan, mit der Forderung nach Verhandlungen über einen Waffenstillstand. Und ist dafür abgekanzelt worden: Die politisch Verantwortlichen haben die Forderung einfach als naiv abgetan. Ihr Mantra war: wir müssen die Ukraine militärisch so stärken, dass sie den Russen Paroli bieten und sie vielleicht wieder aus dem Land werfen können. Danach kann man vielleicht über Verhandlungen nachdenken. Das war eine grundfalsche Herangehensweise! Denn der Kriegsverlauf hat ja gezeigt, dass die Ukraine nie in der Lage war, zu „siegen“, wie Präsident Selenskyj lange Zeit immer wieder behauptet hat.
Jetzt sind Verhandlungen in Gang gekommen – allerdings auf die brachiale Art und Weise, in der Donald Trump, der Herr im Weißen Haus, Politik zu machen pflegt. Trump hat den Ukrainern, bildlich gesprochen, die Pistole auf die Brust gesetzt:
Trump hat sie nach dem Motto behandelt: Ich rede erst einmal nicht mit Euch, sondern an Euch vorbei mit Eurem Kriegsgegner und ich gebe schon mal eine Verhandlungslinie vor. Dazu könnt Ihr dann Euer Einverständnis erklären oder auch nicht, das ist Eure Sache, mir egal.
Und jetzt haben Trump und sein Außenminister Marco Rubio mit einem Ende der Verhandlungen gedroht, wenn es nicht schneller vorangeht. Die US-Regierung will in den nächsten Tagen festlegen, ob eine Waffenruhe in absehbarer Zeit möglich ist. Wenn nicht, könnten die Bemühungen darum eingestellt werden, heißt es aus Washington.
Genau so darf es in Verhandlungen zur Beendigung eines Krieges natürlich nicht laufen. Wie es laufen muss, hat Johan Galtung formuliert, einer der Alt-Väter der Friedens- und Konfliktforschung. Galtung ist leider schon verstorben. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk hat er mal erklärt, worauf es bei Verhandlungen ankommt:
„Man fängt mit Empathie an, also man nimmt die Parteien ernst. Es gibt keine Partei, mit der man nicht in den Dialog eintritt“.
Empathie ist also gefragt, nicht die Bulldozer-Methode á la Trump und Rubio.
Johan Galtung war zu Lebzeiten selber als Vermittler aktiv – z.B. in Afghanistan und auch in anderen Weltgegenden. Er sagt: Es gibt Prinzipien bei der Vermittlung. Die wichtigsten sind: die am Dialog Beteiligten müssen eine positive Zielsetzung formulieren und es müssen wirklich alle Konfliktparteien in die Suche nach einer Lösung einbezogen werden. Dann lässt sich auch eine Lösung finden.
Hier ist die Lage leider völlig desolat: Fast alle Verträge auf diesem Sektor sind ausgelaufen oder gekündigt. Nur das START-Abkommen zwischen den USA und Russland zur Begrenzung der strategischen Atomwaffen ist noch in Kraft, aber das wird auch bald auslaufen und vielleicht nicht neu verhandelt.
Aber: wir müssen zurück auf den Weg der Rüstungskontrolle und Abrüstung, und zwar unbedingt, wenn diese Welt wieder sicherer werden soll!
Es geht darum, dass erst Begrenzungen für die Rüstung vereinbart werden und dass danach auch abgerüstet wird – das betrifft dann alle Arten von Waffen, konventionelle wie Panzer und Geschütze, und auch Kernwaffen wie Atomraketen und Marschflugkörper.
Was die konventionelle Ebene angeht, wäre ein Abkommen wie der KSE-Vertrag wichtig, der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa. Der ist Anfang der 90er Jahre geschlossen worden. Aber er ist nicht mehr in Kraft, weil er vor zwei Jahren von Russland gekündigt und von der NATO ausgesetzt worden ist. In dem Abkommen waren Obergrenzen festgelegt für schwere Waffensysteme, die in Europa stationiert sein durften - wie z.B Panzer und Geschütze.
Der Vertrag ist ein Musterbeispiel dafür, wie Abrüstung funktionieren kann: Nachdem der Vertrag abgeschlossen war, sind nämlich die koventionellen Waffensysteme in Europa drastisch reduziert worden – um die vereinbarten Obergrenzen einzuhalten. Einen solchen Vertrag brauchen wir unbedingt wieder!
Das Bittere an der Situation, die wir zur Zeit haben, ist: Auch bei den Atomwaffen waren wir schon mal weiter. Zum Beispiel mit dem INF-Vertrag, mit dem atomare Mittelstrecken-Waffen in Europa verboten und abgeschafft worden sind. Der ist auch gekündigt worden. Und jetzt stehen wir vor einer neuen Aufrüstung bei diesen Mittelstrecken-Waffen. Die Regierungen in Washington und in Berlin haben etwas beschlossen, was äußerst gefährlich ist für die Sicherheit in Europa. Nämlich: Ab nächstem Jahr sollen in Deutschland neue US-Waffen aufgestellt werden, die auch mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden können.
Bei der geplanten Stationierung geht es um Raketen und Marschflugkörper, die eine größere Reichweite haben als die „Pershings“ von früher. Sie können Ziele tief im europäischen Teil Russlands erreichen. Solche Waffen müssen vom Gegner als massive Bedrohung gesehen werden. Denn sie zielen ja auf seine militärische Infrastruktur.
Da geht es z.B. um Raketenstellungen und Kommandozentralen. In einer Krise könnte sich die russische Führung deshalb dazu entscheiden, die bedrohlichen Waffen im Westen mit einem Präventivschlag anzugreifen. Schon das ist ein Risiko, das auf keinen Fall vertretbar ist!
Was einem aber auch noch große Sorgen machen muss: Die Raketen, die man bei uns stationieren will, sollen mit fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegen und sind damit kaum abzufangen. Ihre Ziele erreichen sie in Minutenschnelle. Die Vorwarnzeit wird deshalb extrem kurz, also die Zeitspanne, in der man noch überprüfen kann, ob es sich um einen absichtlichen Angriff oder ein Versehen handelt.
Es gibt also genug Gründe, um zu sagen: Diese Stationierung darf nicht stattfinden, sie muss verhindert werden!
Und damit komme ich zum letzten Punkt:
Alle, die das Gefühl haben, sie möchten Verantwortung übernehmen, sie möchten etwas für den Frieden tun, können das – zum Beispiel, indem sie Aktionen der Friedensbewegung unterstützen.
Auf manche kommt die Verantwortung aber ganz direkt zu: Auf junge Wehrpflichtige, wenn es denn in Zukunft wieder eine Wehrpflicht geben sollte. Und auf Reservisten, die schon bei der Truppe waren. Ich meine: Sie alle sollten sich prüfen: Kann ich es wirklich verantworten, eine Waffe in die Hand zu nehmen – bzw. bei Reservisten: Kann ich sie weiter in die Hand nehmen? Oder muss ich den Militärdienst verweigern? Wenn sie zu dem Schluss kommen, dass sie verweigern müssen, können sie sich auf unsere Verfassung berufen, genauer auf den Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes. Dort steht ein kurzer, aber sehr bedeutsamer Satz: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben diesen Satz formuliert nach den schlimmen Erfahrungen des zweiten Weltkriegs. Und sie haben ein ausdrückliches Gebot ins Grundgesetz aufgenommen: Deutschland soll eine Nation sein, die sich dem Frieden verpflichtet fühlt. An dieses Gebot sollten wir uns und andere immer wieder erinnern. Und wir sollten uns nicht davon abbringen lassen, zu sagen was notwendig ist:
Wir müssen nicht kriegstüchtig, sondern friedensfähig werden,
darum geht es – auch und gerade in diesen Zeiten!
Harald Will, Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen